Wolfgang Kraushaar: Kein Umbruch, aber folgenreich - Die 68er-Bewegung im politischen Kontext
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Was mit der Chiffre “1968" gemeint ist, war eine im Kern studentische Protestbewegung und dauerte von 1967 bis 1969. Sie war im großen und ganzen eine Parallelerscheinung zur ersten großen Koalition zwischen den beiden Unionsparteien CDU/CSU und der SPD. Weil Teile der jüngeren, akademisch gebildeten Generation der Überzeugung waren, dass es dem Bundestag an einer wirksamen innerparlamentarischen Gegenkraft mangele, rief man zu einer außerparlamentarischen Opposition, der sogenannten APO, auf. Mit ihr wollte man insbesondere die Verabschiedung der Notstandsgesetze verhindern, weil man damit die Rückkehr zu einem autoritären Staat befürchtete.
“1968" war nicht mehr und nicht weniger als ein von einer kleinen Minderheit exerziertes großes gesellschaftliches Experiment. Nahezu alles in Politik und Gesellschaft wurde in Frage gestellt: Parlamente und Parteien, Justiz und Polizei, Kirchen und Gewerkschaften, Banken und Konzerne, Presse und Medien, zentrale gesellschaftliche Institutionen wie die Familie, die Schule und die Universität – es gab kaum einen Bereich, der in der Kritik ausgespart wurde. Und fast immer ging es dabei um die Verwerfung von Autorität. Der Grund dafür lag in einer in der unaufgearbeiteten NS-Vergangenheit wurzelnden Vertrauenskrise.
Obwohl aus der 68er-Bewegung mit dem RAF-Terrorismus, den K-Gruppen und verschiedenen Psychosekten eine ganze Reihe an Verirrungen hervorgegangen waren, so wäre die Veränderung der Mentalitäten, Lebensstile und Lebensentwürfe, die Ausbildung zivilgesellschaftlicher Normen, die Liberalisierung der neuen Mittelschichten ohne die damals freigesetzten Schubkräfte kaum denkbar gewesen. Wenn heute von sexueller Selbstbestimmung, von einem Mehr an individuellen Freiheitsrechten und anderen Selbstverständlichkeiten einer modernen Demokratie die Rede ist, dann sollte daran erinnert werden, wem man das zu verdanken hat – zwar nicht allein, aber auch.
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